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Suffizienz im Bauwesen

Nachhaltig zu bauen, heißt auch Veränderungen einzuleiten. Ziel sollte es sein, weniger zu produzieren und zu konsumieren und den Energie- und Materialverbrauch zu begrenzen. Dies kann zum Beispiel durch eine Förderung der Mehrfachnutzung oder durch die Reduzierung des Flächenverbrauchs erfolgen.

Suffizienz-Strategie

Die universelle Nachhaltigkeitsstrategie, lässt sich in 3 Bestandteile untergliedern: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Während Effizienz den meisten ein Begriff sein sollte, klingen Konsistenz und Suffizienz im ersten Moment etwas hochgestochen. Was es mit der Konsistenz auf sich hat, haben wir in diesem Blogartikel bereits ausführlich beschrieben. Anders als Effizienz (meist erreicht durch neue und innovative Techniken) und Konsistenz (Umdenken, Wechsel zu anderen Verfahrensweisen), beschäftigt sich die Suffizienz mit dem Minimieren des Ressourcenverbrauchs und des Einsparens von Energie und Material.

Definition Suffizienz

Der Begriff Suffizienz (aus dem Lateinischen sufficere = ausreichen, genügen) steht für "das richtige Maß", bzw. "ein genügend an". Verstanden werden kann die Suffizienz als Änderungen der vorherrschenden Konsummuster.  Das Konzept der Suffizienz berücksichtigt dabei natürliche Grenzen und Ressourcen und bemüht sich somit eines möglichst geringen Rohstoffverbrauchs. (Quelle: Bauer 2008, S. 61ff)

Suffizienz hinterlässt oft einen bitteren Beigeschmack, da viele von uns diesen Begriff mit persönlichem Verzicht verbinden. Oft ist zu hören, dass das Volk und somit jeder Bürger einen Beitrag zum großen Ganzen leisten könne, indem er persönlich einsparen würde. Äußerungen von Politikern, welche Ihren Wählern vorschlagen, sie können ja einen Pullover anziehen, um den Gasverbrauch des Landes zu minimieren, helfen sicherlich nicht bei der Popularität der Suffizienz-Strategie.

Der Verzicht beim Konsumgüterkauf stellt jedoch innerhalb dieser Strategie eine wichtige Maßnahme dar, um die nachhaltige Entwicklung zu fördern und zukunftsorientiert zu handeln. Dabei ist es jedoch wichtig, dass die Industrie und in unserem Fall der Bausektor, Anreize schafft, neu denkt und als Vorbild voranschreitet.

Energiewende durch Ressourcenminimierung

Der Ansatz unserer Energiewende beruht zum Großteil auf der Energieeffizienz. Mit Hilfe immer effizienterer Verfahren und immer effizienterer Produkte soll die Wende erreicht werden. Kritiker und Befürworter der Suffizienz-Strategie gehen jedoch davon aus, dass Energieeffizienz allein nicht ausreichen wird. Da der Konsum dank verbesserter Effizienz immer weiter ansteigt und die Gesellschaft immer „verschwenderischer“ mit den vorhandenen Energievorkommen umgeht, gehen sie sogar davon aus, dass sich der Energiegewinn ins Negative umkehren wird. Die Rede ist vom sog. Rebound-Effekt.

Rebound-Effekt

(englisch: zurückprallen) bezeichnet in der Energieökonomie das unerwünschte Phänomen, dass Energieeinsparungen durch Effizienzsteigerung nicht wie erwartet eintreten: Die geplante Einsparung wird nur zum Teil oder gar nicht wirksam. Es kann sogar zu einem Mehrverbrauch kommen. (Quelle: https://www.klimareporter.de/lexikon/reboundeffekt)

Der Schlüssel zur Erreichung der Energiewende liegt also eventuell in der Verknüpfung von Effizienz und Suffizienz. Indem gesellschaftlich und branchenübergreifend auf einen Gewissen Anteil an Energie verzichtet wird (bspw. durch Vermeidung von Überproduktion und weniger „wegwerfen“) und gleichzeitig die für uns notwendige Energie effizienter gewonnen und verbraucht wird, kann die Energiewende durchaus erreicht werden. Der Nachteil an dieser Strategie ist, dass sie in Zeiten des Kapitalismus nur schwer angenommen wird. Es wäre theoretisch leicht, nur das zu produzieren/konsumieren was wir brauchen und darüber hinaus zu verzichten, doch in der Praxis sieht das Konsumverhalten meist anders aus.

Schon im Studium lernen junge Ingenieure, wie Sie Geräte mit Sollbruchstellen versehen, damit diese nicht für immer und ewig in den Wohnzimmern der Menschen stehen, sondern durch neue Geräte ersetzt werden, welche erneut Profite mit sich bringen. Dabei kommt es zu einem kalkulierten Mehraufwand im Ressourcenbereich, welcher sich eben negativ auf die übergeordneten Klimaziele auswirkt. Anstatt Dinge zu produzieren, welche nur eine geringe Lebensdauer haben, sollte auf Langlebigkeit gesetzt werden. Gewinne könnten bspw. auch durch Wartungen und Reparaturen erwirtschaftet werden.

​Als privater Hausherr muss ich mich entscheiden, ob ich das All-in-One Smart-Home-Paket wirklich brauche oder ob ich nicht in der Lage bin Licht und Fernseher eigenständig an- und auszuschalten. Brauche ich ein 70qm Wohnzimmer, dass ich nicht nur ausstatten, sondern auch beheizen muss, oder reichen eventuell 30qm? Vielleicht kann ich mich auch mit einer Wohnküche anfreunden und dadurch zwei Räume zu einem werden lassen und auch hier Wohnbereich einsparen.​

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Jeder von uns wird zwar unterschiedliche Auffassungen davon haben, was er wirklich braucht, doch wenn jeder einen Schritt zurück geht, kommen wir der Energiewende auch einen Schritt näher. Dabei kann ein Schritt zurück (in Sachen Ressourcenverbrauch) auch ein Schritt vorwärts (im Hinblick auf Wohnqualität und -komfort) sein.

Einfach bauen

Die technische Universität München (TUM) beschäftigt sich seit 10 Jahren gemeinsam mit IngenieurInnen und ArchitektInnen der Erforschung des Themas „Einfach bauen“. Der Verbund rundum Prof. Florian Nagler hat es sich zum Ziel gemacht, einen Gegenentwurf zur modernen Komplexität des Bauens aufgrund Normen und Baugesetzen zu entwerfen.

Ziel von „Einfach Bauen“ ist es, den Anfangspunkt zu einer neuen, gegenläufigen Bauentwicklung zu markieren und so einen wichtigen Impuls in der deutschen Bauwirtschaft zu setzen. (https://www.einfach-bauen.net/#forschung)

Das Forschungsprojekt ist dabei in 3 Phasen unterteilt:

1.       Simulieren, Optimieren, Vergleichen

2.       Planen, Bauen, Messen

3.       Auswerten, Validieren, Rückkoppeln

Das Forschungsprojekt im bayerischen Bad Aibling wurde dabei mit Deutschlands renommiertestem Architekturpreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Für den Bau dreier identischer Gebäude wurden die Bausubstanzen Leichtbeton, Massivholz und Mauerwerk verwendet. So konnten Baumaterialen reduziert, das Recyclingpotenzial optimiert sowie Bauzeit und Kosten verringert werden. Sowohl der Einsatz ressourcenschonender Materialien als auch der Verzicht auf komplizierte Haustechnik sind dabei Bausteine aus der Suffizienz-Strategie.

Suffizienz als planerischer Ansatz

Suffizientes Wohnen setzt eine durchdachte Architektur- & Gebäudeplanung, unter Bewahrung individueller Wohnbedürfnisse und Einhaltung lokaler und globaler ökologischer Belastungsgrenzen voraus. Um suffizientes Wohnen ermöglichen zu können, sollten somit möglichst vor Baubeginn gewisse Vorkehrungen getroffen werden. Mit Hilfe von Bedarfsplanung und Partizipation kann frühzeitig auf die Bedürfnisse von NutzerInnen eingegangen werden. Somit können die Themen Wohnqualität und Suffizienz gleichermaßen bedient werden.

Die Pro-Kopf-Wohn- bzw. -Bruttogrundfläche gilt als zuverlässiger Messwert für suffiziente Architektur. Sie ist verantwortlich für das Abschneiden eines Gebäudes unter Berücksichtigung der drei Nachhaltigkeitsfelder – Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die kontinuierlich steigenden Pro-Kopf-Flächen zeichnen sich jedoch als Rebound-Effekt aus (S.o.). 

Grundsätzlich gilt bei der Suffizienz-Strategie genau wie bei anderen Ansätzen des nachhaltigen Bauens: Sanieren und Umbauen statt Neubau. Der Grund dafür ist relativ offensichtlich. Benutzen wir bereits vorhandene Infrastrukturen, müssen wir weniger Energie und Material einsetzen, um unser Projekt umzusetzen. Daher ist es wichtig bereits in der Planungsphase zu berücksichtigen, dass ein Gebäude auch in ferner Zukunft nach Bedarf angepasst werden kann. Die Struktur des Gebäudes sollte also erweiterbar sein. Ein minimalisiertes und robustes Technikkonzept, das auf passive Maßnahmen, Selbstregeleffekte sowie Redundanz-Vermeidung setzt rundet das suffiziente Bauvorhaben dabei ab. Zusammenfassend können wir feststellen, dass ein Umdenken bei der Planung und Realisierung von Bauprojekten stattfinden muss, um die Herausforderung der Klimaziele unter Berücksichtigung von suffizienten Maßnahmen zu meistern.

Gebäude- und Energiesuffizienz

„Energiesuffizienz ist eine Strategie mit dem Ziel, die aufgewendete Menge an technisch bereitgestellter Energie durch Veränderungen des Techniknutzens und weiterer Nutzenaspekte auf ein nachhaltiges Maß zu begrenzen oder zu reduzieren.“ (Brischke, Leuser, Duscha et al. (2016))

Die suffiziente Nutzung von Energie ist bereits seit den Anfängen der Bekämpfung des Klimawandels ein immer wieder hervorgehobenes Thema. Auch in jüngsten Zeiten hat die Bedeutung des Themas von seiner Wichtigkeit nichts verloren. Erst vergangene Woche wurde in Zusammenarbeit zahlreicher Wissenschaftler ein Argumentationspapier zu eben diesem Thema veröffentlicht. Die Forderung lautet: Energiesuffizienz soll zur zentralen politischen Leitlinie werden.

In Ihrer Argumentation haben die Wissenschaftler folgende Vorteile von Energiesuffizienz herausgearbeitet:

·       Widerstandfähigkeit gegen Lieferengpässe oder -ausfälle.

·       Kostengünstig und sofort umsetzbar.

·       JEDER kann seinen Teil zum großen Ganzen beitragen.

·       Es entstehen keine neuen Abhängigkeiten.

·       Positive Nebeneffekte bei Umsetzung von Suffizienz-Maßnahmen.

Auch wenn die Argumentation als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine erfolgt ist, gelten diese Vorteile dennoch allumfassend und werden ihre Bedeutung auch in Zukunft nicht verlieren.

Gebäudesuffizienz

Natürlich bezieht sich das Argumentationspapier vor Allem auf den Energiesektor, doch die Vorteile gelten sektorübergreifend und auch die Maßnahmen ähneln sich im Kern deutlich. Die Gebäudesuffizienz nimmt dabei einen großen Part der Energieeffizienz im Bausektor ein.

Dabei lässt sich die Suffizienz von Gebäuden in drei Unterkategorien aufteilen:

Raumsuffizienz (RaS)

Betrachtet Proportionen und Ausstattungen: Bewertung des Raumvolumens pro Person gibt Rückschlüsse auf den zu erwartenden Energiebedarf.

Nutzungssuffizienz (NuS)

Betrachtet und sagt die Nutzungsweise der Räume voraus. Die wahrscheinliche Nutzung eines Raumes durch den Nutzer wird bewertet und es wird abgewogen, ob der Nutzer sich über den Energiebedarf desselbigen bewusst ist oder ob optische Hilfsmittel dafür notwendig sind.

Techniksuffizienz (TeS)

Betrachtet die sinnvolle Nutzung von Technik in Gebäuden unter Berücksichtigung der Suffizienz und zukünftiger Anpassbarkeit.

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Eine erfolgreiche Gebäudesuffizienz behandelt sowohl die angemessene Wahl an Raumvolumen als auch die technische Ausstattung in Abhängigkeit zur Gebäudenutzung. Dabei lassen sich der Einsatz an Raum und Technik in Größe und Ausführung planerisch steuern. Raum- und Technikeinsatz stehen dabei in Wechselwirkung.

Fazit

Suffizienz ist nicht gleich Verzicht. Auch wenn es ums Einsparen und Minimieren geht, können durch frühzeitiges Planen und unter Berücksichtigung von persönlichen Bedürfnissen, Projekte entstehen, welche sowohl energieeffizient als auch suffizient sind, dabei aber nie Wohnqualität und persönlichen Komfort vernachlässigen. Leichter als in anderen Branchen kann der Bausektor durch geschickte Planung das Gefühl des Verzichts von Anfang an begrenzen und zudem durch Technik ein Bewusstsein beim Nutzer schaffen. Ressourcen sparen heißt eben nicht „minderwertiger“ zu bauen. Dies stellen bereits verschiedenste Bauprojekte eindrucksvoll unter Beweis. Ein generelles und branchenübergreifendes Umdenken sollte dabei jedoch stets in Betracht gezogen werden. Denn anders als bei anderen Ansätzen zur Erreichung der Klimaziele, können bei der Suffizienz schon kleine Entscheidungen im privaten Bereich Ergebnisse erzielen.