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Shardstiles - Interview

KBH: Liebe Lea, als Gründerin von Shardstiles hast du einen Nerv der Zeit getroffen, um nicht zu sagen, einen Kern des Problems Klimakrise erkannt: Nämlich aus recyclebaren Stoffen ein neues Material mit einem sinnhaften Anwendungsgebiet zu schaffen. Fliesen aus Baustoffresten, wie Ziegelteilchen und Altglas. Wie kamst du dazu?

Lea: Angefangen hat alles in meinem Studium an der Kunsthochschule Kassel. Ich wollte ein neues eigenständiges Material aus Abfällen schaffen, die bis jetzt ungenutzt sind und in Unmengen zur Verfügung stehen. Ich habe angefangen mit Ziegeln aus Bauschutt zu experimentieren. Zuerst sollten es aber Schalen werden.

KBH: Und wie kam es dazu, dass es nach und nach bzw. letztendlich Fliesen geworden sind?

Lea: Meine Versuche mit verschiedenen Materialzusammensetzungen haben mich immer weiter an das Endprodukt herangeführt. Dies hat natürlich gedauert. Zuerst sollten es Schalen werden, die aber immer als flache Scheiben aus dem Brennofen kamen. Der keramische Werkstattleiter sagte dann zu mir: „Lea, deine Pizzen sind fertig.“. Es waren immer interessante Farben dabei, aber eben alles flach.

Recycling Designpreis

Produktentwicklung

KBH: Wie ging es danach weiter, mit oder ohne deine „Pizzen“?

Lea: Ich habe erst einmal andere Projekte begonnen und mit anderen Materialien gearbeitet. Aber dieses eigensinnige Material blieb mir im Hinterkopf. Es dauerte einige Jahre bis mir relativ schlagartig klar wurde, was das Material sein wollte: Eine Fliese. 2016 nahm ich die Forschung wieder auf und Anderthalb Jahre später folgte dann die erste richtige Fliese und direkt im Anschluss die erste Ausstellung. 2017 erhielten meine Fliesen den Recycling Designpreis und im darauffolgenden Jahr gewannen sie die Hessen Design Competition und den Bundespreis Ecodesign.

KBH: So ein Entwicklungsprozess ist immer spannend und bringt einen manchmal auch über Umwege ans Ziel. Finanziell ist Gründen ja auch immer ein herausfordernder Prozess. Wie sah es in diesem Bereich aus?

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Lea: In Hessen hat man einige Möglichkeiten, sich als Gründer:in fördern zu lassen. Natürlich steht da auch immer ein Aufwand dahinter: Anträge schreiben, Businessplan erstellen, erste Erfolge dokumentieren. Um all das kommt man natürlich nicht herum. Ich habe mich und meine Idee beim Hessen Ideen Stipendium und beim EXIST Gründerstipendium beworben und diese auch erhalten. Diese Stipendien sind wertvoll da sie einem den finanziellen Freiraum geben seine Gründungsidee weiter voranzutreiben und die Möglichkeit in die Bereiche, die zum Kosmos einer Unternehmensgründung gehören, reinzuschnuppern. Wettbewerbe haben uns immer eine Menge an Aufmerksamkeit eingebracht und sind wertvolle Marketingmöglichkeiten. 2020 waren die Fliesen
Preisträgerin des hessischen Gründerpreises und haben den deutschen Nachhaltigkeitspreis Design gewonnen. Im Anschluss an diese Preise gab es immer viele Anfragen in unserem Postfach.

KBH: Gerade im Bereich Urban Mining, Nachhaltigkeit und neuen Verfahrenstechniken muss man sich auch zeigen und auf seine Entwicklungen und Ideen aufmerksam machen. Wettbewerbe und Stipendien lohnen sich bei einer guten Idee also, du bzw. ihr seid ein erfolgreiches Beispiel dafür. Die Grundfliese ist somit also gelegt. Wie soll es weiter gehen?

Lea: Ja, absolut. Den Wandel bekommen wir alle nur gemeinsam und mit Nachdruck hin. Wir planen nun auch eine eigene Produktion aufzubauen, diese soll im Jahr 2024 stehen. Einen ersten Großkunden konnten wir auch schon gewinnen, was uns wahnsinnig freut. Die herkömmlichen Verfahren funktionieren für unsere Fliesenherstellung nicht, deshalb müssen wir eine eigene Produktionslinie gestalten. Maschinen und Materialien müssen zusammenpassen. Aktuell setzen wir kleine Pilotprojekte um und versenden Musterfliesen.

KBH: Das klingt vielversprechend und nach einer strukturierten Planung. Was ist an euren Fliesen bzw. der Produktion denn anders als bei herkömmlichen Verfahren?

Lea: Tonfliesen werden in der Regel im Strangpressverfahren geformt. Hierfür wird der Tomasse relativ viel Wasser zugefügt. Nach der Formgebung muss dieses Wasser wieder herausgetrocknet werden. Dafür werden die Fliesenrohlinge für 1-2 Tage in Kammern getrocknet, was enorm energieintensiv ist. Gebrannt werden herkömmliche Fliesen in der Regel in Gasbrennöfen. Gas ist jedoch ein fossiler Brennstoff der enorme Kosten für die Umwelt verursacht. Wir gestalten unsere Produktion so nachhaltig wie möglich. Unsere Fliesen werden im Trockenpressverfahren geformt und in elektrischen Brennöfen gebrannt die mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden. Langfristig wollen wir diesen Strom auch selber herstellen und unsere Maschinen direkt damit speisen. Shards soll die erste wirklich klimaneutrale Fliese auf dem Markt werden.

KBH: Selbst für einen „Fliesen-Laien“ klingt das sehr einleuchtend. Was gibt es sonst noch für Besonderheiten oder Merkmale, die man bei shards hervorheben sollte oder die du gerne hervorheben würdest?

Lea: Unsere Ausgangsstoffe sind Bauschutt, Industrieabfälle der Ziegel- und Keramikindustrie sowie recyceltes Glas. Für unsere Produktion können wir sowohl Flach- als auch Hohlglas verwenden. Wir sind dabei immer auf der Suche nach neuen Abfallmaterialien, die wir in unsere Fliesenherstellung integrieren können. Die Verwendung von Recyclingmaterialien schont natürliche Ressourcen. Das ist viel besser, als neuen Müll zu produzieren. Wir verwenden keine Farbstoffe. Die Farben unserer Fliesen entstehen allein durch das feine Austarieren unserer Ausgangsstoffe. Diese reagieren je nach Art, Menge und Temperatur miteinander. Trotzdem können wir eine große Bandbreite an Farben anbieten. Von Weiß, Creme, Ocker, Grau und Schwarz hin zu schillernden Grün- und Blautönen. Außerdem sind unsere Fliesen zirkulär. Wenn sie zu Bruch gehen, können wir sie zu 100 % recyceln.

KBH: Wow, das klingt nach einer tollen Bandbreite an positiven Eigenschaften, die dein Start-up bei der Herstellung der Fliesen kombiniert. Da steckt auch immer ein wenig „try-and-error“ drin, nehme ich an. Umso positiver, dass ihr Ende nächsten Jahres eine Produktion starten wollt. Wo soll es denn örtlich hingehen?

Lea: Wir haben in NRW gegründet und möchten unsere Produktion im Münsterland aufbauen.

Kreativität & Nachhaltigkeit

Gründen

KBH: Wir, von Klimabauheld, drücken dir und allen Beteiligten auf jeden Fall die Daumen und sind gespannt, wann wir die ersten Fliesen kaufen können. Zu guter Letzt: Was kannst du zum Thema Gründung an Lesende noch mitgeben?

Lea: Keine Gründung gleicht der Anderen. Deswegen gibt es auch keinen Königsweg. Leider wird einem aber oft von außen suggeriert, dass man den Weg zu einem eigenen Unternehmen auf gewisse Weise bestreiten muss. Aber die eigentliche Schönheit eines eigenen Unternehmens ist ja die Freiheit das man dieses selber gestalten kann. Ich bin immer gut damit gelaufen Dinge auszuprobieren und auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich würde mir wünschen, dass Nachhaltigkeit nicht immer dem Profit weichen muss und alle Menschen, besonders Politiker:innen und Unternehmer:innen ihr Können und ihr Geld dafür einsetzen, dass wir diesen Planeten entlasten und seinen Ressourcen den Respekt zollen der ihnen gebührt.

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